„Band für Mut und Verständigung" für Mohammed EL Ouahhabi

Reportage

Der LSB-Integrationscoach wurde für sein ehrenamtliches Engagement im Sport und gegen Antisemitismus ausgezeichnet

Hohe Ehrung für Mohammed EL Ouahhabi: (Foto: Mi.) Der Integrationscoach beim LSB-Projekt „SPORTBUNT – Vereine leben Vielfalt!“ wurde mit dem „Band für Mut und Verständigung 2024" ausgezeichnet – „in Anerkennung seiner beeindruckenden, ausdauernden, vielfältigen Arbeit, Menschen zu motivieren und zu vernetzen, Begegnungsräume zu schaffen, seiner Förderung von respektvollem Umgang im Sport und darüber hinaus seines Engagements gegen Antisemitismus und die Bestärkung der migrantischen Community“, wie es in der Laudatio heißt.

Mohammed EL Ouahhabi erklärte in seiner Danksagung: „Wir Menschen sind aufeinander angewiesen – wir brauchen Unterstützung, Orientierung und Liebe, aber auch schwierige Erfahrungen, um den Wert von Gemeinschaft und Mitmenschlichkeit zu erkennen. Ich hatte das Glück, in Marokko und Deutschland Menschen zu treffen, die in entscheidenden Momenten für mich da waren. Viele von ihnen sind heute hier – meine Vorgesetzten vom LSB Berlin, meine geschätzten Kolleginnen von SPORTBUNT, die eine unbezahlbare Arbeit leisten, sowie meine Freundinnen, Bekannten. Dieser Preis ist auch eine Widmung an meinen Großvater Mohammed, der vor kurzem verstorben ist. Er sagte einmal: 'Es ist wichtig, im Leben mindestens einen Menschen zu haben, zu demder man gehen kann, wenn man den Weg verliert.' Diese Worte haben mich tief geprägt, und heute bin ich dankbar, solche Menschen in meinem Leben zu haben. Durch mein Engagement will ich nur ein wenig von dem zurückgeben, was ich damals großzügig von meinem Deutschland bekommen habe.“

Im LSB-Verbandsmagazin SPORT IN BERLIN erschien ein Porträt über ihn:

Der Mann mit Anzug und klaren Regeln

Mohammed EL Ouahhabi ist Integrationscoach beim LSB-Projekt „SPORTBUNT – Vereine leben Vielfalt!“. Integration ist für ihn mehr als ein Job. Integration ist seine Mission. 

Beim Gespräch in seinem Büro am Sachsendamm fällt er gleich mit der Tür ins Haus: „Etwa 11.000 in Berlin angekommene Kinder und Jugendliche besuchen derzeit Willkommensklassen. Mehr als 1.000 warten noch auf einen Platz. Was können wir tun?“ Eine rhetorische Frage. Er weiß, was er tun will: „Sport kann viele Probleme nicht lösen, aber normalisieren. Vor allem Sprache lernen durch Sport.“ Das funktioniert, wie er aus eigener Erfahrung weiß – dadurch ist er ein Glückfall für die Integration. „Der Junge aus Baracken ohne Wasser und Strom“, wie er sagt, ist in Marokko aufgewachsen, hat schon als Jugendlicher begonnen, sich Deutsch beizubringen, weil er Fan von Fußball-Weltmeister Günther Netzer war. Er wurde Fußballtrainer, studierte Germanistik und kam dann über ein Stipendium nach Deutschland und Berlin. Seit dem vergangenen Jahr besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Er hat sich quasi selbst integriert. Jetzt nutzt er seine Erfahrungen mit den Möglichkeiten des Sports. Zum Beispiel an der Hufeland-Schule in Berlin-Buch. An der Integrierten Sekundarschule gibt es vier Willkommensklassen – mit je zwölf bis zwanzig Kindern aus aller Welt. Er möchte dort ein Pilotprojekt aufbauen und tastet sich heran: Mit Unterricht in Willkommensklassen. Viermal war er in diesem Jahr in der Hufeland-Schule, 25mal in einer Geflüchtetenunterkunft. Je 45 Minuten in der Schule und je zwei bis drei Stunden in der Unterkunft – ohne PowerPoint.

„Ich komme mit den Kindern ins Gespräch, zunächst auf Arabisch. Wir reden über alles, auch übers Wetter. Ich frage sie, wie es ihnen geht, erzähle von mir. Einige fragen, warum sie Sport machen sollen, wenn sie abgeschoben werden, ihre Mama habe morgen einen Termin beim Amt. Ich sage dann: Man weiß nie, was kommt. Mach Sport für deine Gesundheit.“

Er weiß, dass er auch nicht die Lösung für die Probleme der Welt hat. Aber er kann sich gut in die Lage der Kinder versetzen, ihnen Zuversicht und Motivation geben. „Ich habe das Gefühl, dass ich als Fremder in den Klassen angenommen werde.“ Er baut viel Vertrauen auf. Ein Kind hat mal zu ihm gesagt: „Kannst du mein Vater sein?“ Ein Vater hat ihn abends um 20 Uhr angerufen: „Mein Sohn ist noch nicht zu Hause. Kannst du mit ihm reden?“ Er hat auch schon für ein Kind aus einer Geflüchtetenunterkunft ein Paar Schuhe gekauft. „Ich wollte als Elfjähriger auch solche Schuhe haben. Das vergesse ich nicht.“

So wie er mit der Sprache Zugang zu den Kindern findet, so verschafft ihm seine Kleidung einen besonderen Respekt. Er ist immer im Anzug unterwegs. Auch bei Sportfesten. Einmal fehlte der Bürgermeister. Mohammed EL Ouahhabi war der Einzige im Anzug. Auf Bitten der Moderatorin sprach er ein paar offizielle Worte. „Sie sagte danach: Nicht alle Menschen im Anzug sind Bürgermeister. Du hast das viel besser gemacht“, beim Erzählen schmunzelt er. Er spürt: „Der Anzug erleichtert meine Arbeit um 60 Prozent – auch in den Willkommensklassen.“

„Der Mann mit dem schicken Anzug“, wie ihn Kinder nennen, kommt mit klaren Regeln: Wer etwas sagen möchte, meldet sich. Andere ausreden lassen. Alle Meinungen respektieren, darüber debattieren. Alle sollen etwas sagen. Schüchterne spricht er an. Je mehr Fragen die Kinder haben, desto besser findet er das. Er ist überzeugt: „Kluge Leute fragen ihre Kinder nicht, was habt ihr heute gelernt, sondern, wie viele Fragen habt ihr heute gestellt.“

Bildung ist für Mohammed EL Ouahhabi Schreiben, Lesen, Rechnen – aber auch Theater, Musik und Sport. Gleich bei seinem ersten Besuch an der Hufeland-Schule hat er den Sportplatz zwischen den beiden Schulgebäuden gesehen und die Lehrkräfte gefragt: „Kann ich da sportlich etwas machen?“ Er organisierte mit dem LSB-Team von „SPORTBUNT – Vereine leben Vielfalt!“ gemeinsame Sportfeste für Willkommens- und Regelklassen, „für Wolfgang und Mohammed, Katrin und Layla“, wie er das Miteinander nennt – die Willkommensklassen sollen nicht unter sich bleiben. Das kam bei Kindern, Lehrkräften und Sozialarbeitenden gut an. SPORTBUNT baute daraufhin regelmäßige Sportangebote auf – zwei- bis dreimal in der Woche mit ausgebildeten Übungsleitenden.

„Die Willkommensklassen sind sehr gemischt. Das Niveau ist nicht einheitlich“, berichtet Mohammed EL Ouahhabi. „Beim Sport ist viel mehr Gelassenheit. Die Freude ist da, wenn einfach nur ein Ball da ist. Die meisten Kinder in den Willkommensklassen sind in der Pubertät. Unsere Aufgabe ist es, die Energie zu nutzen. Viele denken, Sport ist Schwitzen und nach Hause gehen. Nein. Sport ist viel mehr.“ Der Integrationscoach hat eine Ausbildung als Mediator für gewaltfreie und interkulturelle Kommunikation gemacht. Er sagt: „Für Geflüchtete ist alles neu: das Wetter, die Kultur, der Verein. Mentale Unterstützung spielt da eine große Rolle.“ Er möchte den Geflüchteten durch Sport Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln und ihnen beibringen, „wie Wolfgang hier denkt“. „Wenn sie mich fragen: Wo kann ich Wolfgang treffen. Dann sage ich: im Sportverein. Dort triffst du Wolfgang und Katrin.“

Mohammed EL Ouahhabi möchte mit Sportangeboten dazu beitragen, das soziale Miteinander über die Hufeland-Schule hinaus in Buch zu gestalten, wo es drei Geflüchtetenunterkünfte gibt. SPORTBUNT und ALBA BERLIN waren mit Bewegungsangebote beim „Tag der Nachbarn“ – die milaa gGmbH (miteinander leben, aber anders) hatte an einem Spätsommertag auf das Gelände der Erstunterkunft in der Groscurthstraße eingeladen. „Die Kids dort haben nichts, außer einem Sportplatz. Bei den Anwohnern gibt es Ängste.“, berichtet er. „Wir möchten die Nachbarn wenigstens temporär sensibilisieren.“

Weil das nicht mit einem Sportfest allein gelingt, betreibt er Netzwerkarbeit – spricht mit der Gesamtelternvertretung der Schule, mit der Polizei. In Pankow ist er ehrenamtlich Sprecher des Bezirksbeirats für Partizipation und Integration.