„Ein bisschen wie ein Action-TikTok in live“

Reportage

Interview mit Martin Zwicker und Anja Kosan aus dem Team Berlin für Paris 2024

Martin Zwicker vom Berliner Hockey-Club ist der Älteste im Team Berlin – zum dritten Mal bei Olympia dabei. Und die Rhythmische Sportgymnastin Anja Kosan vom SC Siemensstadt fährt als Neuling zu den Spielen. Im Interview sagen sie, was sie bewegt, warum sie hart trainieren und sehr stolz sind, dabei sein zu dürfen.

Liebe Frau Kosan, lieber Herr Zwicker, wie würden Sie die Olympischen Spiele in einem Wort beschreiben?

Anja Kosan: Kindheitstraum.

Martin Zwicker: Unbeschreiblich.

Ihre Sportarten sind recht unterschiedlich. Arbeiten Sie wirklich vier Jahre auf Olympia hin oder ist es nur einer von vielen Höhepunkten, die ein Sport-Jahr eben so mit sich bringt?

Kosan: Wir trainieren schon jahrelang als Gruppe darauf hin. Wir haben natürlich unsere festen Übungen und Wettkämpfe, die wir jedes Jahr bestreiten, aber eigentlich ist das große Ziel Olympia.

Zwicker: Im Endeffekt ist es ein weiteres Turnier im Kalender. Aber mit weitreichenderen Folgen, weil man mehr Vorlauf hat, sich qualifizieren muss, deswegen ist es deutlich früher in den Köpfen.

War das auch so, als Sie mit Sport angefangen haben? Das Ziel Olympia-Medaille im Kopf?

Kosan: Als ich angefangen habe, habe ich eigentlich nur Glitzer, Schminke und Kostüme gesehen, den Spaß. Ich war sechs Jahre alt, als ich eine Aufführung sah und dachte: Das sieht schön aus, das will ich auch machen. Erst später, als ich mit zehn in die Leistungsrichtung gehen wollte und dann auf die Sportschule gekommen bin, wurde es wettkampforientierter und ich wollte mehr erreichen.

Zwicker: Ich war auf keiner Sportschule. Mein Papa hat Hockey gespielt, das war fast die logische Konsequenz (lacht). Ab einem gewissen Alter realisiert man, auch in der eigenen Sportart, dass EM- und WM-Turniere präsenter werden und Olympia das Größte ist, was man erreichen kann. Das ist eine coole Sache, weil es dir später hilft, sich zu fokussieren und Lust macht, dafür zu trainieren.

Für die meisten Menschen ist Sport nur ein Hobby. Wann war der Punkt, wo Sie gemerkt haben: Das ist jetzt mein Leben?

Kosan: Bei mir relativ früh. Mit acht habe ich schon viermal die Woche trainiert, das hat einfach so dazugehört. Nach der Schule bin ich zum Training und es wurde immer mehr. Ich kann mich nicht mehr richtig daran erinnern, wie das war, als ich nicht so viel Zeit beim Training verbracht habe.

Können Sie mit 21 Jahren noch jung sein? Sind Teamkameradinnen dann die Freundinnen?

Kosan: Wir trainieren sechs Tage die Woche zusammen, aber wir verstehen uns im Team so gut, dass wir am siebten Tag sagen: Leute, habt ihr noch Lust, heute etwas gemeinsam zu unternehmen? Wir sind schon Freunde und unsere eigene kleine Familie, weil wir alle von woanders her kommen.

Wie viel trainieren Sie denn heute, Herr Zwicker, um sich mit 37 Jahren noch fit zu halten?

Zwicker: Das hängt auch von der Phase ab, in der man steckt, ob man noch Zusatzschichten zum Mannschaftstraining macht. Man kann schon auf 15 bis 20 Einheiten die Woche kommen.

Wenn man so viel trainiert, überlegt man je, es aufzugeben, etwa nach Rückschlägen?

Zwicker: Das hat jeder schon mal durchgemacht, egal welche Sportart. Dass man gefrustet ist, nach dem Motto: Ich habe keinen Bock mehr. Aber im Endeffekt ist es nur eine Situation und nicht ernst gemeint, einfach etwas, das man wieder loswerden muss. Vielleicht sogar mit noch mehr Training.

Womit pusht man sich dann? Was gibt Ihnen der Sport, dass Sie immer weitermachen?

Zwicker: Es ist ja irgendwann zu einer Leidenschaft geworden, man macht es, weil es Spaß macht. Man trifft Leute, trainiert mit ihnen zusammen, lernt sie kennen, unterstützt sich, die Familie auch. Das gibt ein gutes Gefühl und Halt, da wägt man nicht ab, welche Summe man bekommt oder nicht. Darum ist Olympia so cool: Weil die meisten Sportler es machen, weil sie den Sport so sehr lieben.

Kosan: Bei uns auch. Und wenn man einmal so zu großen Wettkämpfen fliegt, will man weiterhin dabei sein, weil es ein tolles Gefühl ist, wenn einen so viele Menschen supporten. Da merkt man: Die stehen hinter mir, ich kann stolz auf etwas sein. Etwas Besseres kann ich mir nicht vorstellen.

Parallel müssen Sie sich trotzdem um eine Berufsausbildung kümmern. Wie machen Sie das?

Zwicker: Ich bin für Sportwissenschaften an der HU Berlin eingeschrieben, weil sich das noch halbwegs vereinbaren lässt. Zurzeit ruht das Studium aber, weil ich einfach zu oft unterwegs bin.

Kosan: Ich habe die Schule 2021 in Berlin beendet und bin in die Nähe von Stuttgart gezogen, der Nationalmannschaft wegen. Ich wollte Mathe und Sport auf Lehramt studieren, die ersten zwei Semester liefen gut, aber dann wurden Training und Wettkämpfe immer mehr. Da merkte ich nach vier Semestern: Es geht nicht mehr, habe mich exmatrikuliert und bin zur Bundeswehr gegangen.

Hat man manchmal Angst, etwas zu verpassen? Dass man irgendwann Ende 30 ist und auf dem Arbeitsmarkt heißt es: Olympiasieg schön und gut, aber Sie haben kaum Berufserfahrung

Zwicker: Es betrifft ja nicht nur Sportler, dass sich gewisse Dinge verzögern. Eine Frau kann ja auch ein Kind bekommen zwischendurch oder man schlägt einfach einen anderen Weg ein und studiert später. Sport kann außerdem auch Türen öffnen. Und wenn Sie mir im Bewerbungsgespräch vorwerfen würden, dass ich zu viel Sport gemacht habe, wäre ich sowieso an der falschen Adresse.

Kosan: Ich denke manchmal schon: Du wärst jetzt im sechsten Semester und bald fertig. Aber den Sport kann ich eben nur jetzt machen, den Rest später. Ich kann mir jetzt auch noch nicht vorstellen, irgendwann damit aufzuhören. Ich würde schon gerne später etwas in Richtung Trainerin machen.

Gibt der Leistungssport etwas mit für das weitere Leben? Oder nur schmerzende Gelenke?

Kosan: Ja, etwa Zielstrebigkeit und Disziplin. Ich habe schon im Vergleich mit Klassenkameraden gemerkt, dass ich Hausaufgaben früher fertig habe, damit ich noch mal zum Training gehen kann. Man ist organisierter, von Anfang an, seitdem ich klein bin, musste ich mir eine Struktur geben.

Wie müsste Olympia denn laufen, damit Sie jeweils zufrieden wären

Kosan: Auf jeden Fall ein Platz im Finale. Wenn ich mich auf der Fläche sicher fühle, Spaß habe und sagen kann: Alles, was ich trainiert habe, habe ich zeigen können. Dann bin ich zufrieden. 

Zwicker: Schwierige Frage. Wir zählen schon zum Favoritenkreis, daher möchte man auch weit oben landen, Richtung Medaille gehen, auch weil wir bei den letzten Malen schon nah dran waren. Vor drei Jahren haben wir das Spiel um Bronze verloren und ich kann sagen: Das war richtig sch…

Für Sie als Sportler ist Olympia das Größte, bei anderen Menschen geht es ein wenig unter, weil sie sich nicht für Sport interessieren oder nur für die Fußball-EM davor. Ist das schade?

Zwicker: Das ist schon sehr unterschiedlich. Olympia wird sicher enorme Aufmerksamkeit haben, unabhängig davon, dass Fußball davor ist. Vielleicht macht es Leuten auch Lust, Sport zu schauen und das Team Deutschland anzufeuern.

Kosan: Mir persönlich ist es auch lieber, wenn sich jemand wirklich für meinen Sport interessiert, sich auskennt und mitfiebert, als wenn eine große Menschenmenge das nur so nebenbei verfolgt.

Wie erleben Sie das in Ihrer Altersklasse? Ist Olympia in Ihrer Generation noch angesagt?

Kosan: Mich spricht es sowieso an. Aber natürlich interessiert man sich nun für die Disziplinen, die neu dazukommen, Breakdance oder Surfen. Das hat schon Attraktivität, auch für jüngere Menschen

Sie sehen sich also nicht in der Pflicht, Ihren Sport mit Content auf TikTok zu bewerben?

Kosan: Bei uns macht jeder selber, worauf er Lust hat, aber auch die Verbände tun immer mehr. 

Zwicker: TikTok ist nicht mehr so meins (schmunzelt). Aber die meisten Leute interessieren ja die Inneneinsichten, dass sie den Sport mehr nachvollziehen können, als ihn klassisch nur anzuschauen.

Wie wichtig fänden Sie es, wenn sich Berlin für Olympia 2036 oder 2040 bewerben würde?

Kosan: Ich fände es richtig cool, wenn die Spiele in Berlin wären. Bei uns in der Rhythmischen Sportgymnastik ist 2026 die WM auch in Berlin, darüber freue ich mich total, weil es einfach schön ist, zuhause zu sein und zu wissen, dass jeder kommen kann, Fans, Familie und die Freunde. 

Zwicker: Ich fände es auch cool. Die Frage ist doch: Wie geht man das an? Ist das nachhaltig, was springt dabei heraus? In Paris wurden viele Sportstätten übernommen, die Stadt auch modernisiert. Olympia kann vielen Projekten einen enormen Boost geben, etwa, dass Kinder mehr Sport treiben.

Wie würden Sie denn Skeptikern Lust auf Olympia und speziell Ihre Sportart machen?

Zwicker: Man sollte einfach einschalten, jegliche Sportarten. Weil man Leute sieht, die so lange auf dieses Event hintrainiert haben, so viele Emotionen, Freude, geplatzte Träume, alles ist möglich. Das macht Spaß beim Zusehen und nimmt gefangen, auch wenn man sonst nichts damit am Hut hat.

Kosan: In der Schule erlebe ich das immer wieder: Wenn Leute sich das einfach mal ansehen, sind sie sofort begeistert. Sie denken, man wedelt ein bisschen mit einem Band, dabei ist es viel mehr. Ein bisschen wie ein Action-TikTok in live (lacht).