Everything is possible

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Ohne Trainer*innen keine Medaille: Wie Lasse Frank und Marina Spottke-Günther den Nachwuchs trainieren und Aktive, wie Weltmeisterin Angelina Köhler, auf Olympia vorbereiten.

Schwimmen unterm Glasdach: Ein Besuch im Berliner Sportforum Hohenschönhausen

Es gibt Menschen, die verbringen Urlaube in Tropenhallen. Andere arbeiten dort, in Badehosen. Etwa in der Schwimmhalle im Sportforum Hohenschönhausen, die in der Sonne vor sich hin backt. Trotz der Riesenrolläden an den hohen Fenstern hat es gefühlt 40 Grad hier, draußen knapp über 20.  
Dadurch entsteht ein gewisses Sommerfeeling, auch da alle Anwesenden Schwimmkleidung tragen. Alle außer Lasse Frank, Bundesstützpunkttrainer, und Landestrainerin Marina Spottke-Günther.

Olympisches Training im Alltag

Der 42-Jährige trägt immerhin kurze gelbe Shorts, zu grauen Turnschuhen und schwarzem T-Shirt, auf dem „Paris 2024 - Everything is possible“ steht. Denn trainiert wird hier für olympische Spiele. Dafür geht es recht locker zu, Frank verabschiedet einige Nachwuchsschwimmer Faust an Faust. Kollegin Spottke-Günther hockt im Schneidersitz auf einem Startblock am Beckenrand und beobachtet Bahnen eines Brustschwimmers. Oft zeichnet die 46-Jährige sogar Bilder davon. Es wirkt sehr entspannt, zwei Monate vor Olympia an der Leistungsschmiede der Sprintschwimmer. Dieser Eindruck täuscht. „Das war das Ende der Einheit, die Phase für lockeres Ausschwimmen“, erklärt Stützpunktrainer Frank. Zudem sei die Trainingsgruppe heute dezimiert. Medaillenhoffnung Angelina Köhler etwa hat sich wegen Unwohlsein abgemeldet, auch andere Athleten sind erkrankt.

Jenseits der klassischen Schwimmübungen

Natürlich sei eine gewisse Grundspannung da, eine Vorfreude auf die Sommerspiele, aber nicht nur. „Wir haben eine Gruppe, die unterschiedliche Höhepunkte bestreitet, drei sind bei Olympia dabei.“ Neben Köhler, die erst im Februar WM-Gold gewann, auch Ole Braunschweig und Nele Schulze.
Dazu wird der Nachwuchskader für Deutsche Meisterschaften vorbereitet und an Feinheiten gefeilt. „Ich habe die Gabe zu erkennen, wo Tiefenmuskulatur fehlt, anhand der Lage im Wasser“, erklärt Spotte-Günther. Oft kommuniziere sie ohne Worte, über Antippen im Becken. Doch die Ex-Schwimmerin, die auch als Gesundheitscoach arbeitete, kann alles wissenschaftlich begründen. Sie baut auch Übungen mit Autoreifen und vom Breakdance im Training ein, lacht und umarmt viel.

Die Nachwuchsschwimmer loben ihre Trainer gleich. „Sie können streng oder verständnisvoll sein, je nach Situation“, sagt die Gruppe, beide seien fordernd und verstünden, Sportler zu verbessern. „Marina hat immer ein offenes Ohr, ist aber hart im Stabi-Training und Lasse auch mal entspannt.“ Zu meckern finden die Talente nichts. Selbst über die Hitze in der Halle - das Wasser sei ja kälter. In der Zwischenzeit fluten Kindergruppen die Halle, Sportschüler der fünften Klasse, es wird laut. Das Trainerteam schlägt nach Ende der Einheit der Größeren ein Gespräch in einem der Räume vor, wo es kühler ist. Über eine Treppe geht es hinauf, vorbei an Trainerbüros mit Blick auf die Becken.

Der Arbeitstag eines Spitzentrainers

Ein Luxus, einer von wenigen für einen Schwimmtrainer. Sein Tag beginne morgens um 6 Uhr und ende erst um 19 Uhr, auf bis zu 280 Stunden komme er im Monat, schätzt Stützpunkttrainer Frank. So entspannt, wie arbeiten in Shorts wirkt, ist es nicht. „Wir arbeiten nonstop daran, die Sportler zu verbessern, schrauben an Details.“ Oft wache er nachts auf und denke über bessere Wenden nach. Die meiste Zeit beanspruche, sich neben den Sportlern auch dem Trainer-Team zu widmen. Frank zählt auf: Trainings- und Ernährungswissenschaftler, Technik- und Krafttrainer, Sportpsychologen. Frank redet schnell und leidenschaftlich über Schwimmen, ist kaum zu bremsen, wie seine Sprinter. Da es aktuell keinen Bundestrainer für kürzere Distanzen gibt, liegt viel Verantwortung bei ihm. Dafür organisiert er Teilnahmen an Trainings-Wettkämpfen in London oder Höhen-Trainingslager in der Türkei.

Die Suche nach der perfekten Sekunde

„Im Sprint und in der Mittelstrecke sind kleine Nuancen extrem wichtig“, erklärt er. Oft entscheiden Zehntel-, Hunderstelsekunden. Das sei für das Fernsehpublikum schwer zu greifen. „Diese eine Minute Perfektion, wo jeder Zug sitzt, dahinter stehen Zehntausende Trainingsstunden.“ Spottke-Günther weiß, was das heißt. Anders als Frank, der sich früh für Familie und Trainer-Beruf entschied, schaffte sie es als aktive Schwimmerin zu den Spielen 1996. „Ich konnte meine Leistung nicht abrufen, mich hat der Kopf ausgeschaltet“, erzählt sie, erst später wurde sie Weltmeisterin im Masters-Bereich, schwamm dort Weltrekorde. „Ich weiß, was es heißt, zu fallen und aufzustehen.“ Deshalb achtet sie auf die Sportler als Individuen, macht Atemübungen mit ihnen, um sie zu erden.
Den Trubel bei Olympia sollen sie ausblenden lernen. „Eigentlich müsste man als Sportler dreimal dabei sein. Einmal zum Lernen, einmal zum Mistreiten, das dritte Mal zum Genießen“, sagt Frank. Und die Trainer? Spottke-Günther antwortet: „Wir sind für unsere Sportler da, immer abrufbereit.“
Dann müssen die beiden wieder in die Tropen-Halle, zum nächsten Training. Entspannt geht anders.

Autor: Dominik Bardow