Power-Duo auf Medaillenjagd

Reportage

Wie sich das Radsport-Team Robert Förstemann und Thomas Ulbricht ehrgeizig auf die Paralympics vorbereitet

In einer Woche, am 28. August, beginnen die Paralympischen Spiele 2024 in Paris. Aus Berlin sind elf Top-Athlet*innen mit dabei: Rick Cornell Hellmann (Badminton), Felicia Laberer (Kanu), Malte Braunschweig, Johanna Döhler, Mira Jeanne Maack, Elena Semechin (Schwimmen), Stephanie Grebe (Tischtennis), Katharina Krüger (Rollstuhltennis), Pierre Senska (Radsport) sowie das Radsport-Duo Robert Förstemann und Thomas Ulbricht:

Was kann im 82 Tausendstel einer Sekunde passieren? Atomphysiker geben darauf eine wissenschaftliche Antwort. Robert Förstemann dagegen hat eine ganz praktische und für ihn sehr schmerzliche. Bei den Paralympischen Spielen 2021 verpasste er mit seinem Tandempartner Kai Kruse exakt um diesen Hauch von Zeit eine olympische Medaille im 1000 Meter Zeitfahren. Wieviel Zentimeter fehlten damals zu Bronze? „Das könnte man ausrechnen. Will ich aber gar nicht wissen“, sagt er knappe drei Jahre später. Der deprimierende Moment von Tokio ist dem 38jährigen immer noch gegenwärtig. Jetzt vor den Paralympics in Paris vielleicht mehr denn je. „Ich habe da noch eine Rechnung offen“, gibt er ehrlich zu.                                                                                                                            

Für Robert Förstemann hat sich in den seither vergangenen 35 Monaten einiges geändert. Das Wichtigste: Er hat einen neuen Rad-Partner, fährt jetzt gemeinsam mit Thomas Ulbricht, einem ehemaligen Para-Leichtathleten. „Wir sind uns zuvor häufig im Kraftraum des OSP Berlin begegnet“, berichtet der sehbehinderte Ulbricht vom Kennenlernen. Wegen einer Verletzung verpasste er 2021 die Wettbewerbe in der japanischen Metropole, hinterlegte beim Top-Bahnfahrer Förstemann jedoch sein Interesse für eine zweite Karriere als Radsportler. „Ein paar Tage nach Tokio hat er angerufen und gesagt, wir probieren es mal“, erzählt der 1,80 Meter große Athlet, der bei vier Paralympics zwischen 2004 und 2016 eine Silber– und eine Bronzemedaille gewonnen hat.                                                                                                                             

Die Entwicklung danach verlief rasant. Anfang November vor drei Jahren gab es das erste Bahn-Training. „Am 17. Dezember hatten wir in der Schweiz den ersten Wett-kampf“, erzählt der in Salzwedel in der Altmark geborene Ulbricht. Mit 1:03,9 min. fuhren sie eine Top-Zeit angesichts der kurzen Vorbereitungsphase. Dazu gewannen sie den nichtolympischen Sprint-Wettbewerb. „Es hatte mich überrascht, dass es so gut klappte“, reflektiert Thomas Ulbricht recht bescheiden ihre Wettkampf-Premiere. Während Pilot Förstemann deutlich formuliert: „Es passte wie Arsch auf Eimer“.        

Der erfolgreiche Einstand fand seine Fortsetzung. Drei Mal gewann das Duo seither bei Weltmeisterschaften die Bronzemedaille im Zeitfahren. Zuletzt im März dieses Jahres in Rio. Dazu noch zwei Mal Silber im Sprint.                                                

Was zeichnet das erfolgreiche Tandem aus? Für den in Greiz geborenen Robert För-stemann ist es die Harmonie. „Thomas mit seinem eingeschränkten Sehvermögen vertraut mir voll und ganz. Er setzt meine Anweisungen komplett um. So können wir unsere Kraft optimal auf die Bahn bringen“ Sein Stroker, wie der Sozius im Sprachgebrauch der Bahnfahrer heißt, lobt „die übermenschliche Power“, über die Förstemann verfügt. „Wenn er Gas gibt, heißt das für mich, reinlatschen, Geschwindigkeit halten und wenn ich nicht mehr kann, klein machen und hinter Robert verstecken.“          

Mit dem „Verstecken“ ist es schon lange vorbei, weil Thomas Ulbricht seine anfangs vorhandenen Defizite, im Anfahren zum Beispiel, schnell abgebaut hat. Nicht nur auf der sportlichen Ebene passt es zwischen den Beiden, sondern auch auf der menschlichen. Sie ergänzen sich gut. Hier der „ungeduldige“ Pilot, der „immer gerade heraus“ seine Meinung sagt, und da der eher ausgeglichene Ulbricht, der „sich von negativen Dingen nicht unterkriegen lässt, sich an positiven Beispielen hochzieht“.          

Mit welchen Erwartungen gehen sie nach fast drei Jahren Gemeinsamkeit nun in ihren wichtigsten Wettkampf? Seit Ende Mai haben sie verschieden Tandems getestet, um das ideale Rad zu finden. „In Prozenten kann man schwer ausdrücken, wieviel das Material ausmacht“, erklärt Robert Förstemann, der vor seiner Karriere im Paracycling Welt- und Europameister im Teamsprint war und 2012 eine olympische Bronzemedaille gewann, „aber du bist mental stärker, wenn du weißt, die Reifen sind neu, die Kette ist eingefahren und dein Tandem wiegt nicht fünf Kilo mehr als das der Konkurrenz.“ Wie er es bei den Spielen in Tokio der Fall war.

Bei der Vorbereitung auf die Paralympics vertrauen sie auf ihr bewährtes Muster. Sie trainieren in Berlin und Frankfurt/Oder, wo sie „alles haben, was wir brauchen“, um über „Aufbau-, Kraft- und Schnelligkeitsphase“ in die olympische Form zu kommen. Ob sich Aufwand und Anstrengung gelohnt haben, entscheidet sich am 1. September im „Velodrom national de Saint-Quentin-en-Yvelines“, in jenem Radstadion, in dem Robert Förstemann und Thomas Ulbricht im Oktober 2022 bei ihrer ersten Weltmeisterschaft Silber im Sprint und Bronze im Zeitfahren gewannen. Das sollte ein gutes Omen sein.   

Text: Herbert Schalling

Foto: picture alliance