Sport kennt kein Alter: Die 105jährige Gisela Raff trainiert regelmäßig

Reportage

Zum Abschluss des Trainings wartet die größte Herausforderung. Auf einer Gymnastikmatte liegend klemmt sich Gisela Raff einen Ball zwischen ihre Unterschenkel und hebt ihn mit gestreckten Beinen an, senkt ihn und wiederholt die Bewegung einige Male. Die Übung bereitet ihr ebenso wenig Probleme wie die anderen zuvor. Da hat sie den Ball mit gestreckten Armen über ihren Kopf gehalten, ihn am Körper von rechts nach links hin und her bewegt oder ihn unter ihren Oberschenkeln durchgeführt. Von den Mitgliedern ihrer Trainingsgruppe wird Gisela Raff bewundert. „Um ihre Beweglichkeit beneide ich sie. Die habe ich mit meinen 80 Jahren nicht mehr“, gibt Bärbel Papke ehrlich zu. „Es ist mir ein Rätsel, wie sie das alles schafft“, staunt der 77 Jahre alte Dieter Wahl.

Auch die Trainerin Jessica Körner ist angetan: „Ich erlebe sie wöchentlich und mich beeindruckt, dass sie immer da ist und sich nicht aufgibt“. Seit 16 Jahren betreut sie die 105jährige. Wie die anderen Kursteilnehmer*innen auch trainiert Gisela Raff nach einem Plan, der auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. „Wir stärken mit den Übungen besonders ihre Rückenmuskulatur und verbessern auch die körperliche Stabilität“, berichtet die Trainerin. „Das hilft ihr vor allem im Alltag. Damit läuft sie die Wege sicherer und stolpert nicht über jeden Stein.“                                                                   

Fünf Frauen und zwei Männer, zwischen 70 und 80 Jahre alt, gehören noch zu der Sportgruppe. „Das könnten alles meine Töchter und Söhne sein“, scherzt Gisela Raff, die mit dem für aktive Ältere gern verwendeten Begriff „rüstig“ unzureichend beschrieben wäre. Denn beim Gespräch nach der 60minütigen Übungsstunde wirkt sie kein bisschen erschöpft, plaudert munter drauflos.     

Eine echte Berliner Pflanze                                                                      

„Ich bin eben eine echte Berliner Pflanze“, stellt die am 7.Juni 1919 in Lichtenberg Geborene mit einem Lächeln fest. „Bereits als Kind war ich sehr lebhaft. Deshalb hat mich meine Mutti schon mit drei Jahren zum Tanzen angemeldet. Sie wollte, dass ich mich grazil bewege“, erklärt sie verschmitzt. „Ich war so oft es ging draußen“, erinnert sich die 1,65 große Frau an ihre Kinder- und Jugendzeit. „Wir haben Prell- oder Völkerball gespielt und sind Schwimmen gegangen“. Diese Freude an vielfältiger Bewegung, der sie wohl auch ihre heutige Agilität verdankt, hat sie später mit ihrem vor sechs Jahren verstorbenen Mann geteilt. „Wir waren 71 Jahre miteinander verheiratet, sind viel Rad gefahren und gewandert. Im Grunewald kenne ich heute wirklich jeden Weg“.                                                                                                                  

In einem Sportverein organisiert jedoch war Gisela Raff viele Jahre nicht. Erst 2008 kam sie zum Verein Sport-Gesundheitspark Berlin. „Ich hatte Schmerzen im Rücken und eine Nachbarin ist regelmäßig zum Sport gegangen. Da bin ich einfach mal mit“, erzählt sie von den Anfängen ihrer späten „sportlichen Karriere“. Seitdem trainiert sie, abgesehen von einer kleinen halbjährigen Auszeit, im Verein, ist dort mittlerweile das älteste der über 7200 Mitglieder und fühlt sich auch dank der sozialen Kontakte sehr wohl.   

"Zuhause bin ich ein bisschen faul"                                                                                                                           

An fünf Standorten von Hohenschönhausen bis Zehlendorf unterbreitet der sechstgrößte Sportverein unserer Stadt diverse Angebote. In kleinen Gruppen kann mit sportwissenschaftlicher Begleitung vielseitig trainiert werden. Das Programm reicht vom allgemeinen Gesundheitssport über spezielle Gruppen wie Herz- oder Krebssport bis zu gezieltem Training für übergewichtige Kinder.                                                        

Trotz ihres hohen Alters lebt sie noch allein in eigener Wohnung in Zehlendorf. Langweilig wird ihr nie. „Ich löse gern Kreuzworträtsel oder mache Quizspiele“, beschreibt sie ihren Alltag. Gern dreht sie mit ihrem Rollator ein paar Runden im Park. Höhepunkt der Woche ist jedoch ihr Sporttag. „Ich freue mich immer, wenn ich zum Training abgeholt werde“, sagt sie. Das beginnt mit 30 Minuten im Kraftraum. Danach folgen die gymnastischen Übungen, die Gisela Raff alle ohne Hilfe erledigt, ebenso wie das Hinlegen und Aufstehen auf der Gymnastik-Matte. „Man muss sich ja Mühe geben“, wehrt sie jedes Kompliment kurz und knapp ab. Den Sport will sie machen, so lange es geht.  „Ich verschwende nicht so viele Gedanken an mein Alter“, sagt sie und räumt eine „meine kleine Schwäche“ ein. „Ich könnte auch zu Hause ein paar Übungen machen. Aber da bin ich ein bisschen faul.“